Dienstag, 10. September 2013

[Rezension] Knapp am Herz vorbei

Willie Sutton oder auch Willie the Actor war bekannt für seine über 100 Banküberfälle. Fast noch bekannter war er jedoch für seine Gefängnis-Ausbrüche.
Doch hinter alldem steckt auch ein Mensch, der viel erlebt hat. An Weihnachten 1969 wird der inzwischen 68jährige Sutton nach 17 Jahren aus dem Attica State Prison entlassen. Ein Reporter und Fotograf erwarten ihn, um für ein exklusives Interview gemeinsam Willies Stationen der Vergangenheit abzufahren.

Meine Meinung

Für „Knapp am Herz vorbei“ habe ich eine Weile gebraucht, bis es ausgelesen war. Und es hat sich wirklich gelohnt! Aber in der Zeit haben sich auch einige Stichpunkte angesammelt, die ich in dieser Rezension unbedingt ansprechen möchte.
Ich fange mal mit Titel und Cover an. Beide sind schön, dennoch unpassend, was sehr schade ist. Meiner Meinung wecken sie ganz falsche Erwartungen, denn ich hätte eine vor Kitsch triefende Liebesgeschichte der 60er Jahre erwartet. Dem ist aber nicht so. Sie erzählt die Geschichte der amerikanischen Legende Willie Sutton, dem berühmtesten Bankräuber. Es hat ihn wirklich gegeben und trotzdem gibt es ganz viele Dinge, die im Unklaren liegen. Schon deshalb gefällt mir die Anmerkung des Autors: „Dieses Buch ist meine Vermutung. Und zugleich mein Wunsch.“ Grobe Fakten, wann welcher Bankraub stattfand, wo Sutton inhaftiert war und wo er ausbrach, sind wahr. Bei allen anderen Dingen kann man nur rätseln, was Wahrheit und was Fiktion ist.

Nun zum Schreibstil, der in meinen Augen wirklich etwas Besonderes ist. Immer wenn ich das Buch wieder zur Hand genommen habe, brauchte ich kurz um mich an den Schreibstil zu gewöhnen und dann kann man ihn aber auch genießen. Es steht, gefühlt auf jeder zweiten Seite, ein Satz den man sich am liebsten gleich notieren möchte. Und vielleicht gerade deshalb, liest es sich unglaublich langsam. Was in dem Fall wirklich positiv gemeint ist. Es ist keine Geschichte, die man mal eben schnell weg liest, um seine Monatsstatistik aufzubessern;) Und schließlich bekommen wir auch die gesamte Lebensgesichte von Willie Sutton erzählt, da kann man sich schon mal etwas Zeit nehmen.
Man muss sich zudem auch etwas konzentrieren, da Herr Moehringer gänzlich auf die Anführungszeichen bei einer wörtlichen Rede verzichtet. Ich fand es zu Beginn wirklich störend, aber auch das ist eine Gewöhnungssache und später fällt es gar nicht mehr auf.

Willie Sutton war wohl der beliebteste Bankräuber und wurde oftmals auch als der Robin Hood der Moderne betitelt. Das macht natürlich neugierig, was für ein Mensch er war und ob man Sympathie selbst für einen Bankräuber aufbringen kann. Dieses Buch bringt einen dazu, denn Willie entpuppt sich als ein belesener Mann, der behutsam bei seinen Banküberfällen vorgeht und nie Gewalt anwendet. Warum er dann überhaupt diese Verbrechen begeht? „Because that’s where the money is.”
Ich habe diese Geschichte wirklich ins Herz geschlossen und ganz ehrlich: diesen Willie Sutton hätte ich auch gern mal getroffen. Ich kann nachvollziehen, warum er als Gentleman unter den Kriminellen galt. J.R. Moehringer verpackt das Ganze dann auch noch mit schönen Kommentaren, die von Willie kommen und einem ganz eigenen Humor, der mehrfach zum schmunzeln anregt.
Haben Sie jemals gewählt, Mr. Sutton? – Jeder meiner Banküberfälle war ein Votum.
Es ist schon hart zu lesen, was für Erfahrungen Willie auf dem Weg zum Erwachsen werden machen muss. Und irgendwie versteht man dadurch seine Motive und findet manches okay, obwohl es das nicht ist.
Die Rahmenhandlung findet am Weihnachtstag statt, als Willie mit dem Reporter und Fotografen durch New York fährt. Und selbst über diese beiden Nebencharaktere, die wir nur als „Schreiber“ und „Knipser“ vorgestellt bekommen, lernen wir durch ihre Diskussionen mit Willie besser kennen und bereichern letztendlich die Geschichte.

Fazit
Eine unglaublich gut erzählte Lebensgeschichte, die jeder lesen sollte, der Interesse an der Person Willie Sutton hat und warum er von Beruf Bankräuber wurden. Ein Bankräuber der lange Zeit ein amerikanischer Volksheld war und für manche noch heute ist. J.R. Moehringer hat hiermit einen anspruchsvollen und fesselnden Roman geschaffen, der einen direkt in das Jahr 1969 zieht.

  5 von 5 Sternen

amerikanisches Cover


"Knapp am Herz vorbei" von J.R. Moehringer
Hardcover
Fischer Verlage
Seiten: 448
Preis: 19,99 Euro


http://hyperionbooks.com/book/sutton/
NPR Author Interview: 'Sutton': America's 1920s, Bank-Robbing 'Robin Hood'

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Egal was euch nun nach dem Lesen des Beitrags in den Kopf kommt - schreibt es mir. Ich freue mich riesig über jedes einzelne Kommentar! ♡